Freitag, 6. April 2012

Ösophagusatresie

Weil immer wieder Leute mit diesem Suchbegriff bei mir auf der Seite landen, habe ich beschlossen, nun genauer darauf einzugehen. 


Ösophagusatresie. 
Ein Wort das beim Scrabble sicher eine rekordverdächtige Punktzahl erreichen würde, in meinem Leben allerdings keine Pluspunkte sammeln kann. 


Mein kleiner Held kam am 02. Oktober 2011 auf die Welt. 
Die Schwangerschaft verlief bis auf die kleinen, normalen Zipperleins unauffällig. Wobei unauffällig auch nicht so ganz stimmt. Denn ich hatte auffällig viel Fruchtwasser. Aber darüber hat sich jeder nur gewundert, sich aber keine weiteren Gedanken gemacht. 
Auch wenn es natürlich nicht von medizinischem Superwissen zeugt, ich war erleichtert darüber, über die spätere Diagnose nichts zu wissen. 
Unser Sohn kam also nach einem klassischem Blasensprung kurz vorm Schlafengehen und einer (soweit man das sagen kann) angenehmen und vor allem kurzen Geburt sechs Wochen zu früh auf die Welt. 
Weil das im Krankenhaus niemanden nervös macht und wir uns in guten Händen gefühlt haben, haben wir uns keine Sorgen gemacht. Sicherheitshalber wurde Purzel mit auf die Kinderintensivstation genommen weil er etwas Hilfe beim Atmen brauchte. 
Dort wollte man ebenfalls sicherheitshalber eine Magensonde legen (was ganz normal bei Frühchen ist), hat aber dann sofort festgestellt dass etwas nicht stimmt. 


Diagnose Ösophagusatresie. 
Ich verlinke euch für die fachlich einwandfreie Erklärung den Wiki-Artikel, wer sich für unsere Geschichte interessiert, bleibt gern auf meinem Blog  :-)


Die Speiseröhre meines Sohns hat auf halber Strecke einfach beschlossen, nicht weiter Richtung Magen zu wachsen sondern eine völlig sinnlose und noch dazu gefährliche Abzweigung in Richtung Luftröhre zu nehmen. 
Warum das passiert ist? Nicht weil ich in der Schwangerschaft verbotenerweise einmal von der Lachsplatte genascht oder vielleicht zu heiß gebadet habe  ;-)
Gott sei Dank. Denn hätte ich diese Fehlbildung durch mein Verhalten unwissend provoziert... ich wäre mit dem Leben wahrscheinlich nicht mehr froh geworden. 
Aber es handelt sich um eine Laune der Natur, die ungefähr am 20. Tag der Schwangerschaft der Meinung ist, zicken zu müssen. 
Wenn man das Glück  (und es ist nichts anderes) hat, ein gesundes Baby im Arm halten zu dürfen, dann kann man sich wahrscheinlich nicht im entferntesten vorstellen, wie es ist, wenn man nur wenige Stunden nach der Geburt diese Nachricht bekommt. 
In Gesprächen mit dem Chirurg, dem Anästhesisten und dem Assistenzarzt wurde uns der Ernst der Lage erklärt. Sachlich, hart aber Hoffnung gebend. 


Die notwendige OP wurde noch am gleichen Abend durchgeführt. Alles lief gut. Die fehlenden 1,5cm konnten durch Ziehen an beiden Enden mehr oder weniger problemlos vernäht werden. Und das Loch in der Luftröhre (das nach Entfernen der Fistel entstanden war) wurde mit relativ hohem Aufwand geschlossen. 
Wenn man in diesen Situationen glücklich ist, wahrscheinlich nur dieses eine Problem bewältigen zu müssen, dann kann man vielleicht einschätzen, wie groß die Sorge in diesem Momenten ist. 
Kinder mit Ösophagusatresie haben oft viele weitere Probleme wie Wirbel-, Darm- oder Herzfehlbildungen. Da unser Purzel nur zwei kleine weitere "Gadgets" in der "Light-Version" mit auf den Weg bekommen hat, können wir wirklich von Glück im Unglück reden. 


Es folgten zwei schwierige Wochen auf der Kinderintensivstation. 
Purzel musste anfangs zu 100% beatmet werden, hat aber von Tag zu Tag selbstständiger geatmet. Er hat nur geschlafen, sich erholt. Wir saßen von in der Früh bis zur Schließung der Station an seinem Bett und haben ihn gehalten. 
Wenn ich jetzt Fotos von den ersten Tagen ansehe, nimmt mich das mehr mit als es mich vor einem halben Jahr mitgenommen hat. Ich denke, man schaltet in den Autopilot und funktioniert einfach. 
Aber es ging bergauf... jeden Tag. Kaum Rückschläge  :-)
Nach zehn Tagen war dann nochmal Tag X. Der alles bedeutende Test ob die Speiseröhre dicht ist. 
Dicht! Ich war so erleichtert wie noch nie in meinem Leben!
Langsam konnte Purzel versuchen, seine ersten Schluckversuche zu unternehmen, doch die meiste Milch wurde nach wie vor sondiert. 


Auch nachdem wir die Intensivstation verlassen durften und weitere zwei Wochen auf der Wachstation verbrachten, hat er schlecht getrunken. Er war immer so müde. Und schwach. Trinken war einfach zu anstrengend. 
Der Entlassungstermin stand wieder auf der Kippe. Doch eine ganz liebe Krankenschwester hat ein paar wertvolle Minuten ihrer überlasteten Arbeitstags abgezweigt um uns zu helfen. 
Und da ging der Knoten einfach auf!
Endlich hat er getrunken! Der Entlassungstermin rückte immer näher und wir konnten es kaum fassen, als richtige Familie nach Hause zu gehen. 


Das war vor fast genau 5 Monaten. Und seitdem geht es nur in eine Richtung. In die richtige  :-)


Er isst mittlerweile Mittags Gemüsebrei, Abends Milchbrei. Und gestern gab's Nachmittag zum ersten Mal Apfelkompott :-) Man sieht ihm nicht mehr an dass er mal so ein kleiner Zwerg war.


Natürlich ist das alles noch nicht ausgestanden. 
Es kann immer wieder Probleme mit der Speise- und/oder Luftröhre geben. Die Vernarbung kann sich verengen, essen kann zum Problem werden. Die Tracheamalazie (eine labbrige Luftröhre), die festgestellt wurde, muss beobachtet werden. 
Aber wir hoffen, das schlimmste überstanden zu haben.


Ich kenne keine Eltern, deren Kind auch mit Ösophagusatresie zur Welt kam. Aber wenn da draußen Mamas oder auch Papas über meinen Blog gestolpert sind, dann würde ich mich freuen wenn ihr mir schreibt. 
Ich bin kein Selbsthilfegruppen-Typ  ;-)  Aber ein bisschen Austausch ist sicher schön. 

2 Kommentare:

  1. Hallo

    meine Tochter kam auch mit dieser Fehlbildung zur Welt. Sie wurde 3 mal operiert, da sich bei der Wundheilung Komplikationen ergeben haben. Nach ca. 4 Wochen sind wir dann beide heim. Die Diagnose war echt schlimm und es sind viele Tränen geflossen. Heute ist unsere Tochter 1 Jahr alt und hat keinerlei Probleme mehr. Nur jetzt wo sie vermehrt festere Kost bekommt sind wir da nicht mehr so sicher, da sie oft alles wieder rauswürgt. Wir haben einen Kontrolltermin bei der Chirurgin gemacht, einfach um sicher zu gehen.

    Alles Gute für deine Familie und besonders für deinen kleinen Purzel ;-)

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    1. Vielen Dank für deinen Kommentar :)
      Ich würde mich so freuen wenn ich mehr Kontakt zu Familien hätte, die mit der gleichen Diagnose zu kämpfen hatten oder immer noch haben. Denn ich bin mir sicher dass alles ein kleines Stückchen leichter ist wenn man sich gegenseitig hilft.
      Mir hätte es zB in den ersten Tagen, Wochen oder Monaten sehr geholfen wenn ich mich mit jemanden hätte austauschen können, der einfach Bescheid weiß und die Situation einzuschätzen weiß.
      Familie und Freunde reagieren doch oftmals nicht so wie es vielleicht hilfreicher wäre. Und man kann ihnen noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Unter anderem weil die Ösophagusatresie eine so unbekannte Fehlbildung ist dass kaum einer von ihrer Existenz überhaupt weiß.

      Schön dass ihr nach nur vier Wochen schon nach Hause durftet. Uns hat die Entlassung (auch nach etwa vier Wochen) sehr geholfen. Das Thema Trinken (und es dreht sich bei einem Baby mit Ösophagusatresie ja kaum um etwas anderes) war sehr viel entspannter und die Trinkmenge hat sich glücklicherweise schnell gesteigert.

      Aber oftmals vergisst man, dass noch viel mehr dran hängt als "einfach ein Stück Speiseröhre zu flicken".
      Hat eure Kleine weitere Fehlbildungen mit auf den Weg bekommen, die die ÖA ja leider oftmals mit im Gepäck hat?
      Wir blieben weitgehend verschont. Wobei das die Einschätzung einer Mama ist, für die eine fehlende Bandscheibe und eine leichte Darmatresie als klitzekleine Fehlbildungen sind. Eltern von gesunden Kindern würden bei zwei zusammengewachsenen Wirbeln wahrscheinlich erstmal ins Wanken geraten.
      Aber euch geht es wahrscheinlich genauso. Man wird bescheiden.

      Ich freue mich sehr dass nach den drei OPs (was wirklich schlimm genug ist) alles gut verheilt ist und Trinken/Essen kein Problem war.
      Hoffentlich geht der Kontrolltermin für euch gut aus. Wird denn eine Bronchioskopie gemacht um sich die Röhre anzusehen?

      Wir haben (nach diversen Unruhe bringenden Diagnosen) versucht, uns erst dann Sorgen zu machen, wenn die Diagnose wirklich bestätigt war.
      Denn... man wird verrückt wenn man immer vom Schlimmsten ausgeht.

      Ich würde mich sehr freuen wenn du mich auf dem Laufenden hältst.
      Schreib - wenn du magst - einfach eine E-mail an diePurzelmama@yahoo.de

      Alles Gute auch dir... und vor allem der kleinen Maus beim bevorstehenden Termin

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