Montag, 9. Juli 2012

Deine Geburt (Teil II)

Ich lag also in dem Bett und habe mir immer wieder gesagt dass ich jede Wehe noch einmal machen müsste wenn ich sie beim ersten Mal nicht richtig veratme. Mit dem Vorsatz, alles möglichst richtig zu machen um es damit so gut es geht zu verkürzen, kamen die Wehen. Es war ungefähr 3 Uhr als es mit einem Ziehen im unteren Rückenbereich begann. Von Beginn an habe ich auf die Uhr geschaut, konnte aber absolut keine Regelmäßigkeit feststellen. 9 Minuten, 2 Minuten, 5 Minuten, 2 Minuten, 12 Minuten... Ich war mir sicher, das ist der Anfang von vielen vielen unendlich dauernden Stunden voller Schmerz, in einer Form wie ich es mir niemals hätte vorstellen können. Also habe ich dieses weit entfernte Ziel, die Erlösung vom Schmerz, fokussiert und jede einzelne Wehe veratmet. Die Wehen wurden kontinuierlich stärker, aber nicht unbedingt regelmäßiger. Zwar konnte ich zu Beginn noch zwischen den einzelnen Wehen ein paar Minuten einschlafen, musste dann aber gegen 5 Uhr aufstehen und mein Becken bewegen. Der Schmerz wurde immer stärker und mir wurde ganz anders wenn ich daran dachte dass das ja nur der Anfang von noch viel schlimmeren Schmerzen war.
Da die Ansage "7 Uhr beim Kreißsaal" hieß, kam ich gar nicht auf den Gedanken, früher vor zu gehen. Um kurz nach 6 Uhr bin ich dann raus und sah den Lieblingsmann direkt gegenüber meiner Zimmertür auf mich warten. Er hat mir einen Tee gemacht, den ich aber kaum noch trinken konnten weil die Wehen immer schneller kamen. Er wollte mit mir Richtung Kreißsaal, ich wollte nicht früher dort stören als man mir gesagt hat. Schön beknackt.
Denn als wir uns dann wenige Minuten später doch auf den Weg gemacht haben, musste ich mich schon an der Wand abstützen weil mich der Schmerz fast umgehauen hat.


Eine nicht besonders freundliche Hebamme hat mich ins Untersuchungszimmer gebracht und ich hing eine halbe Ewigkeit am CTG. Ich fühlte mich ekelig weil die Schlafanzughose immer wieder nass wurde. Nach wie vor habe ich bei jeder kleinen Bewegung Wasser verloren. Gerade als der Lieblingsmann mal nachsehen wollte, wo meine Hebamme abgeblieben ist, ging die Tür auf und Brigit, meine meine meeeeine Hebamme kam herein! Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich plötzlich war.


Birgit hat mich untersucht und dabei einen besorgten Gesichtsausdruck gemacht. Und ich meinte nur: "Oh nein, jetzt tut's schon so weh und es ist noch nichts gegangen, oder?" Und sie meinte: "Doch doch, schon 6cm". Im ersten Moment kam ich mir super vor. Schon sechs Zentimeter geschafft. In gut zwei Wehenstunden. Das ist ein guter Schnitt. Der zweite Gedanke war: PDA!
Schon Wochen vor der Geburt habe ich ein Leuchtschild über meinem Kopf gehabt das blinkend "PDA!" verkündet hat! Weil ich nämlich so große Angst vor der Geburt hatte, war eine Kopf-bis-Fuß-Betäubung die absolute Bedingung. Nur leider habe ich durch meine streberhafte Wegatmerei den Zeitpunkt der PDA übersehen. Bzw. hatte ich nicht gedacht dass ich in so kurzer Zeit schon so weit gekommen war. Birgit wollte mich nicht aufregen und hat pseudomäßig den Anästhesisten angerufen. Aber nach der nächsten Wehe sind wir Richtung Kreißsaal gegangen. 


Ich ging in den Raum, die nächste Wehe rollte an und plötzlich war alles ganz anders. Birgit wollte dass ich mich aufs Bett lege, aber ich meinte dass ich nicht kann weil die Wehe so anders ist, einfach so viel Druck ist und es sich so heiß anfühlt. Meine erste Presswehe.
Im Stehen hat sie kurz nachgesehen: "Man sieht den Kopf schon, du musst auf das Bett"
Gott, ich war völlig überfahren! Wie? Man sieht den Kopf schon?!?! Ich dachte, ich hab noch mindestens 36 Stunden Schmerzen bevor es richtig los geht?!?!
Der Lieblingsmann und Birgit haben mich irgendwie auf das Bett gehoben und genau so wie ich ankam, blieb ich auch liegen, nämlich auf der Seite. Der Lieblingsmann musste mein Bein auf seine Schulter nehmen.
Nur wenige Stunden zuvor hatte ich im Partnertag bei der Besichtigung der Kreißsäle entschieden dass ich so auf gar keinen Fall gebären würde. Aber was die Geburt betrifft, ist so ziemlich alles anders gekommen wie erwartet.


Die zweite Presswehe verging ohne meine Mitarbeit weil ich noch nicht richtig auf dem Bett lag. Ich hatte eine riesen Angst vor den Schmerzen. So bescheuert kann auch nur ich sein: die PDA verpassen! So eine Scheiße! Ich hab zu Birgit gesagt: "Gibt mir noch eine Spritze oder sowas!" Und sie verneinte nur. Ich wieder: "Dann schmier' irgendwas hin!!!" Sie daraufhin ganz ruhig aber bestimmend: "Conny, es ist zu spät. Du musst jetzt pressen, er kommt."
Ich hab die ganze Zeit gedacht: Scheiße, wie fest soll ich denn pressen, verdammt?! Keine Sau hat dir gesagt wie du das machen musst!!! 
Also hab ich wie schon bei den Wehen zuvor beschlossen, so gut es geht, alles richtig zu machen, mich zu konzentrieren und möglichst keine Kraft zu verschenken. Weil Jonas sechs Wochen zu früh kam, war eine Kinderärztin bei der Geburt anwesend. Mit der rechten Hand habe ich ihre Hand zerquetscht, mit der linken Hand die des Lieblingsmanns.
Ich habe zwar getönt, glaube ich, aber geschrien hab ich auf keinen Fall. Die Kraft wollte ich nicht unnötig verschenken. Nach der ersten aktiven Presswehe hatte ich noch immer eine riesen Angst, doch bereits in der nächsten Wehenpause dachte ich dass es trotz großen Schmerzen und unglaublichem Druck zu schaffen ist. Ich hatte plötzlich die Sicherheit, die Geburt ohne Schmerzmittel zu schaffen. Allerdings war Jonas klein und zierlich. Nur wenige weitere Presswehen später hab ich meinen Purzel geboren. 7.56 Uhr, zwanzig Minuten nachdem ich durch die Kreißsaaltür bin. 
Sie haben ihn mir auf den Bauch gelegt, ich war unglaublich stolz und glücklich, hab mich aber dennoch sofort erkundigt ob alles in Ordnung mit ihm ist. Mein Lieblingsmann hat die Nabelschnur noch durchgeschnitten und dann mussten sie Jonas mitnehmen. Weil seine Atmung unterstützt werden musste, wurde er im Raum nebenan versorgt. Mir selbst ging es nach der Geburt wirklich gut. Ich konnte nur zehn Minuten später aufstehen und zu ihm rübergehen. Auch ein Dreiviertel Jahr später kann ich meine ersten Gefühle nicht richtig beschreiben. Es war ein Mix aus einer Million Gedanken und Gefühlen. Ich war erleichtert dass die Geburt vorbei war. Ich war erstaunt, wie gut und schnell es gegangen ist. Ich war stolz auf mich, es ohne Schmerzmittel geschafft zu haben. Ach, was sag ich! Ich hab mich wie Terminator gefühlt!! ;)
Als ich ihn im Versorgungszimmer liegen sah, war er schon ein bisschen sauber gemacht und lag in Tücher gewickelt. Er hatte eine Atemmaske um und hatte die drei Kontrollsonden am Körper, die er erst viele Wochen später wieder loswerden sollte. Aber das wusste ich in dem Moment noch nicht. In diesen Sekunden war ich einfach nur überwältigt von der Tatsache dass dieser kleine Mensch unser Sohn ist. 


Im Kreißsaal sollte ich mich zwei Stunden erholen bis wir zu Purzel auf die Station konnten. Der Lieblingsmann hat Frühstück organisiert und wir haben beschlossen, unseren Familien erst mal noch nichts von Purzels Geburt zu sagen. Erst wenn wir Gewissheit haben dass alles in Ordnung ist, würden wir alle anrufen. Keiner sollte sich Sorgen machen weil er so viel zu früh auf die Welt gekommen ist. 


Ich wurde noch untersucht und sollte wegen einem Dammriss, den ich glücklicherweise nicht gespürt habe, genäht werden. Allerdings hatte ich (nach einer schmerzmittelfreien Geburt, haha!) Angst vor den Schmerzen und habe kategorisch abgelehnt. Die Ärztin hat eingewilligt unter der Bedingung dass ich die kommenden zwei Stunden still halte. So bin ich um das Nähen herumgekommen. 


Gegen 10 oder 11 Uhr sind wir dann ins Zimmer, ich habe kurz geduscht und mir was bequemes, sauberes angezogen und wir sind rüber zu Jonas. 

1 Kommentar:

  1. Wow du hast beide Teile echt sooo toll geschrieben. Zum einen musste ich wirklich sehr schmunzeln, zum anderen schossen mir doch tatsächlich am Ende die Tränen in die Augen.

    Die Geburt eines Kindes ist doch immer wieder faszinierend...

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