Montag, 9. Juli 2012

Deine Geburt (Teil I)

Es war Samstag, der 01. Oktober 2011. Ein warmer und sonniger Herbsttag. Vormittag habe ich nichts besonderes gemacht, zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Um 13 Uhr habe ich mich dann mit dem Lieblingsmann beim Klinikum getroffen weil dort der Partnertag des Vorbereitungskurses stattgefunden hat. Der Lieblingsfreund war ziemlich gestresst weil er sich die paar freien Stunden nur schwer freischaufeln konnte. Monatsanfang bedeutet im Hotel immer Inventur. 
Wir sind also in den kleinen Kursraum und haben es uns auf den Matten bequem gemacht. Ich befand mich zu dem Zeitpunkt am Ende der 33. SSW und habe mich mit der Geburt schon sehr viel auseinander gesetzt. Und weil ich einen unglaublichen Redebedarf hatte und den Lieblingsmann zusätzlich gern genötigt habe, sich ebenfalls zu informieren, haben wir in den vier oder fünf Kursstunden nicht viel Neues gehört. Kleines Highlight war zwar dass Birgit, die Hebamme, die Position der Babys ertastet hat. Allerdings habe ich da auch keine anderen Infos bekommen als das was ich schon ein paar Wochen zuvor von meiner Frauenärztin gehört habe. Er ist bereits tief im Becken. 
Die Bodensitzerei und die ungewöhnlich warmen Temperaturen haben den Lieblingsmann und mich ziemlich außer Gefecht gesetzt und am liebsten hätten wir auf den Matten einfach nur geschlafen. Aber nach Kursende musste er wieder in die Arbeit, also bin ich alleine mit der U-Bahn nach Hause gefahren. 
Weil ich mich wieder etwas fitter gefühlt habe, habe ich eine Maschine Wäsche gewaschen und die Nähmaschine rausgekramt. Während ich zwei Kirschkernkissen und Stoffvögel für ein Mobilé genäht habe, habe ich immer mal wieder in Facebook und Twitter rumgeklickt. Und da hat irgendjemand um 19.45 Uhr gepostet dass hoffentlich alle einkaufen waren weil am Montag ja Feiertag ist. Ich aufgesprungen und in den Kühlschrank geschaut. Na bravo! Nichts daheim und einen Lieblingsmann, der am Sonntag den ganzen Tag in der Arbeit ist. Da er der einzige von uns beiden ist, der aus einem schwarzen Loch auch noch was leckeres zu essen machen kann, war ich total aufgeschmissen. Also schnell in die Schuhe und mich und meine 16kg Purzelbauch zum Supermarkt geschleppt. Weil man sich's als Schwangere ja ganz gern mal gutgehen lässt, hab ich Pizza und eine volle Tüte mit ungesundem aber leckerem Zeug nach Hause gehievt. Und das alles unter 20 Minuten. Denn kurz nach 20 Uhr hab ich schon den Ofen für die Pizza vorgeheizt. 
Die kommenden zweieinhalb Stunden habe ich gegessen, weiter genäht, den Fernseher nebenbei laufen lassen und darauf gewartet dass der Lieblingsmann von der Arbeit kommt. Als der dann um halb elf endlich daheim war, wollte er die Chance nutzen und die Playstation anschmeißen. Wenn ich ja noch nähe... Aber ich meinte, dass ich jetzt aufhören müsste weil die Wände eh so hellhörig sind und ich nicht will dass die Nachbarn denken, da sitzt eine mit der Nähmaschine neben ihnen auf der Couch. Der Mann also enttäuscht wie ein 3-Jähriger und macht sich bettfertig. Ich war zwar noch topfit, wusste aber dass Schlafen die bessere Entscheidung wäre weil ich die Nacht zuvor schon erst um 3 Uhr einschlafen konnte. Der Kompromiss war dann eben lesen. Der Lieblingsmann ist innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen, ich habe allerdings bis Mitternacht gelesen. Dann habe ich eigentlich nur aus Vernunft das Licht ausgemacht und bin nochmal zur Toilette. 


Knappe zwei Wochen zuvor war mein letzter Frauenarzt-Termin. Leider war meine Ärztin im Urlaub und so war ich bei einer Vertretung, die einen suboptimalen PH-Wert gemessen und einen etwas verkürzten Gebärmutterhals festgestellt hat. Ich bekam ein Rezept für insgesamt 14 Zäpfchen, die dafür sorgen sollten dass keine Bakterien an der Fruchtblase knabbern. Die Wirkung der Zäpfchen habe ich vom ersten Tag der Anwendung bezweifelt. Denn... so schnell konnte ich mich gar nicht in die Waagrechte bewegen wie das Zeug wieder aus mir raus lief. Ich war mir also ziemlich sicher dass diese Dinger keinem fiesen Bakterium die Knabberei unterbinden. Sorgen gemacht habe ich mir allerdings keine. Dazu war die Ansage der Vertretungsärztin zu entspannt. Beim nächsten Vorsorgetermin hätte meine eigentliche Ärztin nochmal genau den PH-Wert checken sollen.


... Ich geh also zur Toilette. Alles normal bis auf dieses Schleimding. Hm... sah zwar irgendwie komisch und ganz anders aus als die Zäpfchenreste der Vortage, aber das Wort Schleimpfropf ist nur einen Minisekundenbruchteil durch meinen Kopf geschossen. Ist nichts... Ist ja viel zu früh. Pünktlich zur Geisterstunde 34+0.
Ich also wieder ins Bett. Kaum war ich mit dem Hintern auf der Matratze, macht es platsch und ich verlor geschätzt einen halben Liter Flüssigkeit. Mein erster Gedanke galt der evtl. versauten Matratze. Also war ich so schnell wie noch nie wieder vorm Bett und bin laut rufend "aaaah, Schaaatz!" wieder zurück auf die Toilette. Der Lieblingsmann war innerhalb von drei Sekunden topfit und bei mir im Bad.  Und da saß ich dann. Insgesamt eine gute dreiviertel Stunde. Unverzüglich hat mein gesamter Körper angefangen zu zittern. Während meine Beine wie verrückt hin und her zappelten weil ich sie nicht stillhalten konnte, hab ich immer wieder Wasser verloren. Obwohl die Situation mehr als offensichtlich war, dachte ich noch immer dass ... ach, keine Ahnung was das hätte sein können. Jedenfalls war mir nicht klar dass der Startschuss für die Geburt gefallen ist. Zwar habe ich mir unglaubliche Sorgen gemacht weil ich sechs Wochen vorm ET war, aber vom heftigen Zittern abgesehen war ich ganz ruhig und klar bei Verstand. Auf ein kleines Post it habe ich für den Lieblingsmann Notizen gemacht. 


34+0
schlechter PH-Wert, darum Zäpfchen, etwas verkürzter Gebärmutterhals
verliere seit Mitternacht Wasser
Kopf laut letzter Untersuchung nicht fest im Becken


Letzteres war eine glatte Lüge. Diese habe ich mir schon viele Wochen vor diesem Tag zurecht gelegt. Denn wir haben kein Auto. Das ist in München auch überhaupt nicht notwendig. Aber das letzte was ich wollte, war, mit einem Taxi ins Krankenhaus fahren zu müssen. Und jetzt, wo ich nicht wie erwartet ganz ruhig mit beginnenden Wehen ins Klinikum musste, war eine Taxifahrt absolut undenkbar. Ich wusste aber dass man nicht liegend transportiert werden muss wenn der Kopf bereits tief im Becken sitzt. Selbst bei Blasensprung nicht. 
Aufgrund dieser Lüge standen also ca. 15 Minuten später zwei freundliche Sanitäter unten an der Treppe, die sich im ersten Moment gar nicht rauf trauten. Ich hab dann nur von der Toilette nach unten gerufen dass sie wohl hoch kommen müssen weil ich nicht vom Klo wegkomme. 
Während ich nochmal alles geschildert habe, hat der Lieblingsmann die letzten zwei, drei fehlenden Dinge in die Kliniktasche geworfen, die ich ein paar Tage zuvor gepackt hatte. 
Weil mir bei jeder Bewegung Wasser die Beine runter lief, hab ich ein Handtuch in die Schlafanzughose gepackt und bin nach unten in den Notarztwagen. Als ich den Lieblingsmann übrigens nach einem Handtuch gefragt habe, hat er mir übrigens das größte Badetuch im ganzen Haus gebracht ;) Aus Platzmangel in der Schlafanzughose musste ich allerdings auf ein kleineres Gästehandtuch zurückgreifen ;)
Im Krankenwagen habe ich eigentlich immer wieder nur gesagt: "Der spinnt, es ist viel zu früh. Der spinnt!"


Die Gefühle, die ich im Krankenwagen hatte, kann ich auch im Nachhinein nicht richtig deuten. Ich hatte Angst, ich hab mir Sorgen gemacht weil es so früh war. Aber dennoch war mir nicht wirklich klar dass ich in wenigen Stunden mein Baby haben werde. Dieser Gedanke war einfach zu unglaublich für mich. 


Nach der Anmeldung wurde ich untersucht und ans CTG angeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinerlei Wehen. Aber erst als mir die Hebamme sagte dass man mir das Zimmer fertig macht, ich noch schlafen und Kraft tanken soll, habe ich begriffen dass ich nicht mehr heimgehen werde. Verrückt eigentlich. Aber mein Kopf konnte die Tragweite einfach nicht begreifen. Dabei war doch alles so klar.


Ich bekam die Ansage, mich um 7 Uhr beim Eingang zum Kreißsaal zu melden. Wenn die Wehen bis dahin noch nicht angefangen hätten, würde man nachhelfen. 


Es war etwa 2.30 Uhr als ich mich im Zimmer hingelegt habe. Der Lieblingsmann hat mir dicke Skisocken über meine nackten und eiskalten Füße gezogen und mich zugedeckt. Endlich konnte ich mich etwas entspannen. Der Lieblingsmann konnte wegen einer anderen Mama leider nicht im Zimmer bleiben und ist draußen in der Nacht rumgetigert um dann später im Aufenthaltsraum auf mich zu warten. 


Als ich langsam ruhiger wurde, die Gewissheit langsam durchsickerte dass mir nun die Geburt bevor stehen würde... Dieses Ereignis, vor dem ich so unglaublich große Angst hatte... Da hab ich mich so konzentriert wie vielleicht noch nie in meinem Leben. 


Ich muss dazu sagen dass ich mit der Sicherheit in die Schwangerschaft gestartet bin, eine Geburt nicht durchzustehen. Und das meinte ich genau so wie ich es gesagt habe. Ich war mir sicher, sicher, sicher dass ich es nicht schaffen werde. Dass ich diesen unvorstellbaren Schmerz nicht besiegen und diese Kraft nicht aufbringen können würde. 
Erst mit vorschreitender Schwangerschaft habe ich mich ganz von selbst auf das Thema eingelassen und mich versucht, darauf vorzubereiten. Denn ich bin etwas perfektionistisch veranlagt. Natürlich war mir klar, dass diese Maßnahmen alle völlig nutzlos sein könnten. Aber ich wollte nichts, wirklich nichts unversucht lassen, mir die Geburt zu erleichtern. Ich habe mir also die Ratschläge von meiner Vorbereitungskurs-Hebamme Birgit sehr zu Herzen genommen und sie zu meinem Mantra gemacht. Ich habe schon ein paar Wochen vor der Geburt (also viiiiele Wochen vor dem ET) meine Fußsohlen auf einem Igelball gerollt weil man so mit beiden Beinen einen festeren Stand hat und der Muttermund so weicher wird. Ich habe Pezziball-Übungen gemacht. Für meinen Rücken und für mein Becken. Ich habe Atemübungen gemacht und mich für die Akupunktur angemeldet. Bis ich festgestellt hab dass ich auf dieses ekelige Dammmassageöl allergisch reagiere, hab ich auch das vorbildlich benutzt. Sogar Himbeerblättertee und Leinsamen haben in der Küche auf mich gewartet. Doch dazu bin ich nicht mehr gekommen. 

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