Donnerstag, 10. Mai 2012

Weinen (von Vimala Schneider McClure)

"Ich habe gehört, Sie können mit einer Massage ein schreiendes Baby in nur 10 Sekunden zum Schweigen bringen..."


Als ich das gelesen habe, dachte ich: YEAH, JACKPOT! Auf den folgenden fünf Seiten wird dir erklärt wie du in 10 Sekunden aus einem Schrei-Purzel einen Kuschel-Purzel machst. Super, denn das brauch ich manchmal wirklich! Aber schon die folgenden Sätze haben meine Hoffnung zerstört. 


Den Text von Vimala Schneider McClure hat uns die Kursleiterin der Babymassage mitgebracht und uns gebeten, ihn bis zur kommenden Massage zu lesen. Vor einer knappen Woche also hab ich den Text gelesen und mir seitdem immer wieder Gedanken darüber gemacht. 


Ich hänge euch den Text hier an, fasse das ganze aber auch kurz zusammen.


... Warum weinen Babys aber auch so viel? Und warum stört es die Erwachsenen so sehr? Warum wissen die Menschen meist nicht so recht, was sie mit einem weinenden Baby machen sollen? Als Babys hatten wir bis auf das Weinen zunächst wenige Möglichkeiten, negative Gefühle auszudrücken und angestaute Spannungen abzubauen. ... Wir haben gelernt, dass Weinen nicht gesellschaftsfähig und ein Zeichen von Schwäche ist. ... Zu Beginn des Jahrhunderts machte sich die Vorstellung vom "Verwöhnen" breit. 
... Doch in den 70er Jahren stellte man die früheren Erziehungspraktiken mehr und mehr in Frage. ... Wir erkannten endlich dass man ein Baby nur verderben kann, indem man es vernachlässigt. ... Mütter, die bis dahin vielleicht mit Schuldgefühlen und selbst den Tränen nahe ihr Baby im Zimmer gelassen hatten, sprangen nun beim kleinsten Pieps des Babys auf. Eines jedoch blieb. Noch immer waren wir von dem Gedanken besessen, dass das Baby möglich schnell zu weinen aufhören muss oder am besten gar nicht erst weinen darf. ... Doch nachdem ich hunderte von Babys in meinen Massagekursen beobachtet habe, weiß ich dass Weinen Erleichterung bedeuten kann. ... Dieses "richtig schöne" Ausweinen setzt jedoch eine liebevolle und unterstützende Atmosphäre voraus, in der das Baby weder ignoriert noch möglichst rasch zum Schweigen gebracht wird. ... Wir werden nervös und wollen dass das Weinen möglichst bald aufhört. ... Unsere Gesellschaft verstärkt diese Gefühle noch. Viele Leute werden ganz unruhig, wenn sich ein Baby zu Wort meldet, und schon beim geringsten Ton drangsalieren sie die Mutter oder den Vater mit grimmigen Blicken. Den Eltern ist die Situation peinlich, sie strafen ihr Baby mit lautem 'Psssst', entschuldigen sich für ihr Kind und ergreifen die Flucht in die häusliche Sicherheit. ... Es gibt einen Unterschied zwischen "nicht-darauf-eingehen" und "darauf-eingehen-und-zulassen"...


Es gibt ein paar Punkte, die ich nicht zu 100% unterschreiben würde. Aber das meiste ist wirklich logisch und für mich schlüssig. Ich persönlich habe ein riesen Problem damit, mit einem schreienden Purzel in der Öffentlichkeit zu sein. Hunger kann ich in diesen Situationen eigentlich immer ausschließen weil er ja mittlerweile nur noch vier Mahlzeiten am Tag isst/trinkt (Eine Flasche in der Früh, Gemüsebrei Mittag, Obst Nachmittag, Milchbrei am Abend) und ich das sehr gut timen kann. Wenn ihn also nichts dramatischeres plagt wie zum Beispiel Zahnungsschmerzen oder Bauchweh, dann kann ich davon ausgehen dass er einfach müde ist und schlafen möchte. Als ich im Text gelesen habe dass Babys oftmals schreien um Spannungen abzubauen, hatte ich wirklich so ein kleines Aha-Erlebnis. Ich dachte nämlich lange: "Meine Güte, wenn er müde ist, warum schläft er dann nicht einfach?!" Denn selbst wenn er eigentlich gut drauf ist, weint er mal länger, mal kürzer vorm Einschlafen. Sowohl am Tag, als auch in der Nacht. Und eben auch wenn wir unterwegs sind und er im Kinderwagen liegt. 
Nachdem ich den Text gelesen hatte, hab ich erkannt dass dieses Weinen einfach zu ihm dazu gehört. Zumindest momentan. In diesen Situationen will er sich auch nicht mit dem Schnuller beruhigen lassen, auch schuckeln bringt ihn nicht zur Ruhe. 
Und so hab ich in den letzten Tagen einfach versucht, zu beobachten, wie er sich kurz vorm Einschlafen verhält. Ich merke dass er im Schreien einen kurzen Moment innehält und er dann auch bereit ist, den Schnuller zu nehmen. Meist fängt er dann nach kurzer Zeit aber wieder an zu Weinen. 
Das heißt, einige Minuten vorm Einschlafen ist es immer ein bisschen ein Kampf, ein Hin und Her, ein Aufregen und Einschlafen wollen.
Aber jetzt versuche ich, es nicht mehr als Kampf zu sehen. Er braucht dieses Weinen wahrscheinlich einfach um sich zu entspannen und ruhig einschlafen zu können. 
Diese Erkenntnis hilft mir ein bisschen wenn ich mit ihm draußen bin. Denn es ist genauso wie im Text beschrieben. Leute schauen, Leute verdrehen die Augen, Leute tuscheln oder mischen sich offenkundig ein und geben einem zu verstehen dass man versagt wenn das Kind weint (hier hatte ich ja mal über eine meiner Highlights im Bezug auf Einmischen gepostet). 
Ich versuche mir in der U-Bahn zu sagen: er weint jetzt, das braucht er damit er einschlafen kann. Und so ist es auch. Aber es ist schwer, selbst ruhig zu bleiben und das zu akzeptieren wenn man die Leuchtreklamen über den Köpfen der anderen Leute schier im Akkord blinken sieht.


Wie geht's euch damit? Gestern hat Purzel mir wieder den halben Supermarkt zusammen geschrien - natürlich genau dann als ich an der Kasse stand, das Zeug verräumen und den Geldbeutel rauskramen musste. Ich will nicht wissen, wie hoch mein Puls in diesen Situationen ist. Aber ich versuche, sein Weinen einfach zu akzeptieren, ihn weinen zu lassen, ihn aber auch zu beruhigen wenn die Zeit dafür ist. Und damit meine ich nicht, wenn ICH Zeit dafür habe, sondern wenn ER sich auch beruhigen lassen möchte. Und wenige Minuten später war dann auch wieder alles in Ordnung und er hat ruhig geschlafen. 


Man sollte sich nicht so von Fremden (oder auch Freunden und Familie) beeinflussen lassen! Und sich auf sich und das Baby konzentrieren. Dann gerät man vielleicht auch nicht in die Situation dass man von dem Geschrei genervt ist und einfach nur will dass wieder Ruhe ist. 


Die Babymassage, zu der ich mit ihm momentan einmal in der Woche gehe, ist übrigens eine wirklich schöne Möglichkeit, intensive Minuten mit seinem Kind zu verbringen. Wir haben das am Abend ins sein Bett-Geh-Ritual eingebaut und er genießt das total. Aber dazu schreibe ich gern ein anderes Mal ein bisschen mehr. 

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